Der Tesino. Zwischen Geschichte und Erinnerung

In den letzten Jahrzehnten haben die Historiker der Alpenwanderung und des Wanderhandels in der Neuzeit ihre Aufmerksamkeit auf die menschlichen und unternehmerischen Wechselfälle der wandernden Buch- und Druckhändler gerichtet, die in der Landschaft des Ancien Régime eine wichtige Rolle spielten und einen außergewöhnlichen Kulturtransfer ermöglichten.
In diesem Sinne ist die Geschichte der Händler aus dem Tesino-Tal überraschend, die zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert als Übermittlungskanal zwischen der mediterranen und der mitteleuropäischen Welt fungierten, indem sie Verlagserzeugnisse, die mit der so genannten Volkspresse in Verbindung standen, an die unterschiedlichsten Orte verbreiteten: von Flandern bis Russland und bis nach Lateinamerika.
Durch die Wiederherstellung dieses charakteristischen Merkmals des Territoriums, mit dem Projekt “Il Tesino. Tra storia e memoria”, entstanden in Zusammenarbeit mit der Fondazione Trentina Alcide De Gasperi durchgeführt und von der Familie Treichler zum Gedenken an Sergio Treichler finanziert wird, zielt darauf ab, einen bedeutenden Fortschritt in der Erforschung und Verbreitung des paradigmatischen Falles den Straßenhändlern des Tesino-Tals.
Die diesem Thema gewidmete Geschichtsschreibung hat das Verdienst, zahlreiche Erfolgsgeschichten rekonstruiert zu haben, die von Hausierern geprägt sind, denen es gelang, eines der größten und langlebigsten Kolporteursnetze Europas aufzubauen, und von Familien, die durch den Druckhandel im Ausland reich werden konnten.
Die Geschichten derer, die es nicht geschafft haben, die gelitten haben, die alles verloren haben, manchmal sogar ihr Leben, blieben dagegen im Dunkeln, ungehört, nie erzählt. Ziel des Projekts ist es, diese Geschichten dank unveröffentlichter Archivrecherchen wieder ans Tageslicht zu bringen, indem insbesondere die dramatischen Ereignisse nachgezeichnet werden, die einige der Tesini während ihrer Expeditionen entlang der europäischen Routen erlebten, und den Familien eine Stimme zu geben, die im Dorf auf die Rückkehr ihrer Ehemänner und Kinder ins Ausland warteten, manchmal jahrelang ohne etwas von ihnen zu hören.
Verschuldung, Klagen, Gerichtsverfahren und Gefängnisaufenthalte, aber auch Krankheiten und Todesfälle stehen im Mittelpunkt dieser Untersuchung, die die großen Schwierigkeiten und Ängste, die den Tätigkeiten und Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Wandergewerbe zugrunde lagen, aufzeigen soll. Letztlich geht es darum, ein Bild der Angelegenheit zu zeichnen, das zwar den Anschein einer echten “Gegengeschichte” erweckt, die auf den ersten Blick die andere Seite der Geschichte zu sein scheint, in Wirklichkeit aber grundlegend für das Verständnis des Phänomens des Straßenverkaufs in Tesino in seiner ganzen Komplexität ist.
Um die Forschungsergebnisse nutzbar zu machen, sieht das Projekt die Konzeption und Realisierung einer temporären Ausstellung im Museo Tesino delle Stampe e dell’Ambulantato “Per Via” in Pieve Tesino vor, die im Sommer 2023 eröffnet werden soll, sowie einen Begleitband.
Koordinierung: Massimo Rospocher
Forscher: Niccolò Caramel
Partnern:
– Fondazione Trentina Alcide De Gasperi
– Museo tesino delle Stampe e dell’Ambulantato “Per Via”
– Familie Treichler
Bild des Museo tesino delle Stampe e dell’Ambulantato “Per Via”